Edition und Erschließung der Werke des Österreichischen Bibelübersetzers
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, also rund 200 Jahre vor Luther, verfasste ein anonymer Autor eine umfangreiche kommentierte deutsche Übersetzung großer Teile der Bibel für Laien, deren Berechtigung er auch gegen Angriffe vehement verteidigte. Aufgrund seiner vermutlichen Wirkungsstätte und des Fundorts der meisten Handschriften, nämlich des mittelalterlichen Herzogtums Österreichs, wird er als der Österreichische Bibelübersetzer bezeichnet.
„Alttestamentliches Werk”, „Evangelienwerk” und „Psalmenkommentar”
Seine drei Hauptwerke umfassen Hunderte von handschriftlichen Seiten: das „Alttestamentliches Werk”, das „Evangelienwerk” und den „Psalmenkommentar”. Daneben schließt das Gesamtwerk auch Traktate gegen Ketzer und Juden sowie weitere kleine Schriften ein. Stetige Neufunde konkretisieren, korrigieren und erweitern das Textkorpus, das dem Österreichischen Bibelübersetzer zugeschrieben wird. Die editorische Erschließung und Kommentierung der Schriften des Anonymus ist ein von germanistischer Seite schon seit einiger Zeit angemahntes Forschungsdesiderat. Die im Mittelalter stark rezipierten, umfangreichen Texte liegen in den zahlreichen Abschriften in verschiedenen Fassungen, späteren Bearbeitungen und auch Exzerpten vor, deren editorische Repräsentation die Wissenschaft vor besondere Herausforderungen stellt und nur durch eine Gruppe von Editoren zu bewältigen ist.
Ziel des Projektes ist es, die überlieferten Werke des Österreichischen Bibelübersetzers kritisch zu edieren und zu kommentieren, wobei digitale und gedruckte Präsentationsformen nebeneinanderstehen werden.
Digital Humanities: Neue Möglichkeiten nutzen und weiterentwickeln
Die digitale Edition birgt die Möglichkeit, nicht nur den Editionstext, sondern auch die einzelnen Arbeitsschritte wie Transkriptionen und Fassungsvergleiche sowie die Digitalisate der einzelnen Handschriften und Fragmente der (Fach-)Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. So lassen sich die komplexen Überlieferungsbedingungen der Einzeltexte ebenso wie die kunsthistorisch relevanten Daten darstellen und tragen gleichzeitig aus einer editorisch fokussierten, germanistisch-mediävistischen Perspektive zur Weiterentwicklung digitaler Editionsmethoden bei.
Interdisziplinärer Forschungsansatz
Die kommentierte kritische Hybridedition schafft die Voraussetzungen für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk des Österreichischen Bibelübersetzers für unterschiedliche Fächer und Disziplinen, unter anderem für Theologen, Historiker und Kunsthistoriker. Regelmäßige Tagungen sorgen für den notwendigen wissenschaftlichen Austausch und stellen das Projekt auch einer breiteren Öffentlichkeit vor. Sie setzen das Oeuvre des Österreichischen Bibelübersetzers in einen Vergleichsrahmen mit anderen volkssprachigen Bibelübersetzungen der Zeit und machen infolgedessen auch Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit der Bibelübersetzung Luthers deutlich.